Im Moment besteht der deutsche Web TV-Markt noch vorwiegend aus Ratgeber- oder Servicesendungen zu den unterschiedlichsten Themen, welches auch als non-fiktionales Web TV-Programm bezeichnet wird. Das sogenannte fiktionale Web TV-Programm mit aufwändig produzierten Web TV-Serien ist erst ungefähr ab den Jahren 2013/2014 zu erwarten, weil es noch nicht finanzierbar ist. Eine Entwicklung, welche auch das analoge Privatfernsehen im letzten Jahrhundert durchlaufen musste und einige Jahrzehnte zuvor auch das öffentlich-rechtliche TV. Das non-fiktionale Programm ist in der Herstellung einfach kostengünstiger und deshalb in den Anfangszeiten eines TV-Marktes besonders gefragt.
Ratgebersendungen
Bei den Ratgebersendungen kommt es für die Produzenten darauf an, Themenmärkte ausfindig zu machen und diese frühzeitig zu belegen. Das fängt bei A wie Autos an und hört bei Z wie Zirkus auf. In solchen Web TV- Themennischen kann sich mittel- bis langfristig nur ein Produzent festsetzen, weil sich Web TV hauptsächlich über Werbung finanzieren muss. Deshalb bleibt für die Mitbewerber nicht genügend übrig, um zu überleben. Insbesondere dann, wenn ein Produzent die Themennische bereits qualifiziert besetzt hat. Manche Produzenten haben ihre Chancen jedoch bereits erfolgreich genutzt und sich Themenfelder gesucht sowie besetzt. Die meisten Themen sind jedoch noch zu vergeben. Bei der Auswahl der zu besetzenden Themen sollte unbedingt auch deren Werbepotential berücksichtigt werden. Denn was nützt das interessanteste Thema mit vielen Zuschauern, wenn es sich anschließend nicht optimal vermarkten lässt.
Bei den Webisodes handelt es sich um die frühen Vertreter des fiktionalen Web TV-Marktes, welche in naher Zukunft ein Comeback versuchen werden. Nachdem jedoch schon der erste Anlauf 2009 aufgrund fehlender Marketingkonzepte und mangelhafter Geschichten kläglich gescheitert ist, wird auch der zweite Anlauf ohne sensationelle Erfolge über die Bühne gehen. Denn dazu muss sich speziell in Deutschland noch einiges ändern. Zwar versuchen sich auch in diesem Jahr wieder einige etablierte TV-Produzenten in diesem Metier, aber weil sie mit den Eigenheiten des Web TV (national und auch international) überhaupt nicht vertraut sind, wird man nicht viel von diesen Bemühungen mitbekommen. War der Versuch vor 3 Jahren in diesem Markt Fuß zu fassen lediglich eine Freizeitbeschäftigung, ist es nun ein ganz konkreter wirtschaftlicher Druck: Der Werbemarkt tendiert erkennbar in Richtung Web TV. Doch am kreativen Umfeld für Web TV (Autoren, Regisseure etc.) hat sich noch nicht viel geändert.
Web TV hat kaum etwas mit TV zu tun
Wenn es nur darum ginge, TV-Inhalte in das Internet zu übertragen, dann gäbe es kein Web TV und die analogen TV-Sender gingen einer mehr als nur goldenen Zukunft entgegen. In Wirklichkeit ist es aber so, dass die klassischen TV-Inhalte bis auf wenige Ausnahmen im Internet nicht überaus erfolgreich sind. Trash hat zwar auch im Internet einen nicht zu vernachlässigenden Stellenwert, aber nur mit Trash könnte man im Web TV wirtschaftlich nicht erfolgreich sein. Die jüngeren Zielgruppen bleiben dem klassischen Fernsehen nicht etwa deshalb fern, weil es so unterhaltend ist. Vielmehr ist das genaue Gegenteil der Fall. Beim Zapping durch die TV-Kanäle kann man die klassischen TV-Sender nicht an Ihren Inhalten oder Gesichtern erkennen, sondern nur an ihren Senderlogos. Dies dürfte bei einem Wettbewerbsmarkt eigentlich nicht der Fall sein, aber von einem effizienten Programmmarketing ist weit und breit kaum etwas zu sehen.
Im Web TV kommt man jedoch ohne Marketing keinen Schritt nicht weiter. Dies erschwert den Eintritt der etablierten deutschen TV-Produzenten ganz erheblich. Das fängt beim Geschäftsmodell an und hört bei der Entwicklung von Web TV-Formaten auf. Und ohne diese Grundlagen ist man in diesem Markt im Grunde chancenlos.
Das Geschäftsmodell des Web TV
Im Web TV ist der Produzent nicht nur Produzent, sondern zugleich auch noch Programm- und Senderchef. Und damit sind erkennbar viele überfordert. Schließlich ist es weitaus einfacher, wenn jemand diese Arbeit übernimmt und dafür auch noch in Form von Produktionsaufträgen bezahlt. Im Web TV lebt man jedoch direkt von den Werbeeinnahmen und diese schwanken von Inhalt zu Inhalt ganz erheblich. Wenn man deshalb keine Ahnung davon hat, für wen man da eigentlich produzieren will, dann sollte man es besser gleich bleiben lassen. Insbesondere dann, wenn man noch mit den veralteten klassischen TV- Konzepten intellektuell vorbelastet ist.
Web TV muss sich über Branded Entertainment und Product Placement finanzieren. Die Werbespots (Prerolls) sind lediglich ein überschaubares Zubrot: Weshalb sollten auch die völlig identischen Werbespots im Internet plötzlich zu Überfliegern mutieren? Dafür gibt es weder theoretische noch gar praktische Gründe. Und ohne die entsprechende praktische Erfahrung in Sachen Product Placement und Branded Entertainment durch die früheren Verbote dieser Marketinginstrumente in Deutschland, ist die jüngere Geschichte des WEB TV damit auch fast schon erzählt. Denn die meisten Web TV-Produzenten scheitern an dieser Stelle bereits kläglich, weil sie vielfach etwas fürchten, was es nur ansatzweise gibt: Die angebliche Abneigung der deutschen Zuschauer gegen Product Placement. Das meiste Programm wird demzufolge wohl auch in diesem noch jungen TV-Segment wiederum aus UK und USA importiert werden müssen. Das ist dann auch eine der wenigen Gemeinsamkeiten mit dem klassischen Fernsehen.
Erfolgreiches Web TV
Auf die Themen-Spezialisierung im Web TV folgen im nächsten Entwicklungsschritt das Branding und die Distribution. Das Branding ist grundsätzlich nicht das Schwierigste, weil das auch in Deutschland an Fachagenturen delegiert werden kann. Ich verstehe darunter die Namensgebung einer Web TV-Sendung und die Entwicklung eines Logos. Darauf folgt der vielleicht komplizierteste Punkt im Web TV: Die Verbreitung der Sendung. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem einzigen Video die 1 Millionen Zuschauergrenze zu erreichen, ist in etwa so groß wie ein Fünfer im Lotto. Um gezielt Reichweiten aufzubauen, kommt es z. B. auf eine kontinuierliche Videoproduktion an. Die Zuschauer haben schließlich ein ständiges Interesse an neuen Inhalten. Und wenn diese Videos inhaltlich und visuell gut produziert werden, dann ist ein beständiges Wachstum der Zuschauerzahlen gegeben und die Akkumulation von einer oder mehreren Millionen Zuschauern für jeden handwerklich begabten Produzenten machbar. Die optimale Schlagzahl pendelt dabei zwischen wöchentlich und täglich einem neuen Video. Anders ist eine kontinuierliche Marketingkommunikation in diesem neuen Mediensegment nicht umsetzbar.
Außerdem sollte man sich ziemlich schnell von der Ein-Portal-Ideologie verabschieden. Denn über nur ein auch noch so großes Internetportal alleine kann man niemals seine Zielgruppe vollständig ansprechen. Das funktioniert nur über eine Auswahl von mehreren Internetportalen. Und dies können im Einzelfall auch gleich mehrere tausend Portale sein.