Die nachhaltige Marketing-Strategie im Aufwind
Ola Källenius, der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, sagte kürzlich in einem Interview, dass in seinem Unternehmen nicht mehr Stückzahlen sondern die Marge Priorität haben müsse. Dies ist eine Reaktion auf die durch die Pandemie verstärkte Krise des Unternehmens und der Überproduktion in der Automobilindustrie generell. Das ist bemerkenswert, denn es wäre eine grundsätzliche Veränderung der Statik im Marketing bei Daimler. Es würde nämlich konsequenter Weise für eine Premiummarke auch die Abkehr von der Marketing-Strategie mit der geplanten Obsoleszenz bedeuten.
Was bedeutet nachhaltiges Marketing?
Marketing ist die wirtschaftswissenschaftliche Erklärung für das Prinzip nach dem Unternehmen oder Organisationen funktionieren. Es bedeutet vorherrschenden menschlichen Bedürfnissen ein Angebot zu deren Befriedigung entgegenzusetzen. Dies ist die Existenzgrundlage von Unternehmen und Organisationen in marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaftssystemen. Beginnend bei der Gestaltung und Präsentation des Warenangebots eines Standbetreibers auf einem örtlichen Marktplatz und endend bei der Aufstellung von Wirtschaftsunternehmen, aber auch von nicht kommerziellen Organisationen. Aus theoretischer Sicht betreiben auch religiösen Organisationen Marketing. Sie befriedigen ein menschlichen Grundbedürfniss, den Glauben. Auf Basis dieses Bedürfnisses existieren Religionen. In den jeweiligen Kulturräumen haben die verschiedenen Kirchen ein darauf zugeschnittenes Angebot entwickelt, das den Menschen hilft, ihre Glaubensbedürfnisse zu befriedigen. So hat sich im Laufe von langen Zeiträumen das Geschäftsmodell Kirche als Organisationsform einer Religion etabliert.
Jede Unternehmerin und jeder Unternehmer, der ein Geschäftsmodell etabliert hat, beschäftigt sich laufend damit, sein Angebot zu optimieren um genügend Kunden zu gewinnen. Er betreibt Marketing und Profitabilität ist der Maßstab, ob sein Unternehmen erfolgreich agiert. Wie verantwortlich dabei mit den Produktionsfaktoren (Personal, Material, Umweltresourcen etc.) umgegangen wird, ist auch eine Frage der Ethik und Moral der handelnden Personen.
Historisch betrachtet hat sich mit Beginn der Industrialisierung auch die Wirtschaftswissenschaft mit der Beschreibung der Wirkungsmechanismen der Produktionsfaktoren der Unternehmen beschäftigt. Daraus entsprang dann mit der Zeit als theoretisches Erklärungsmodell das Konzept des sog. „Marketing-Mix“ (Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Distributionspolitik).
Entwicklung hin zu künstlich verkürzten Produktlebenszyklen
Durch den Erfolg und die Größe der nordamerikanischen Volkswirtschaft seit Mitte des vorletzten Jahrhunderts hat auch deren Wirtschaftstheorie eine größere Bedeutung erfahren. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts kristallisierte sich dort eine starke Orientierung an der Lehre von Gewinnmaximierung durch Massenproduktion (sog. Skalierungseffekte) heraus, mit damit einhergehendem Streben nach Marktbeherrschung durch Größe. Diese Marketing-Strategie setzte sich dann in der Automobilindustrie durch, als General Motors (GM) den bisherigen Marktführer Ford verdrängte. Ford hatte bis dahin Wert auf Qualität und Langlebigkeit seiner Fahrzeuge gelegt und war damit lange unangefochtener Marktführer. Im Kern war das neue Geschäftsmodell von GM die Umstellung auf die künstliche Verkürzung von Produktlebenszyklen (sog. geplante Obsoleszenz) durch die Konstruktion und Herstellung weniger langlebiger Produkte. Das Ziel war damit den Kunden im Zeitverlauf öfter ein Produkt verkaufen zu können und somit den Produktumschlag des Unternehmens zu erhöhen. Damit verbunden war gleichzeitigen die künstliche Verbreiterung des Sortiments auf Basis von oft nur das Design betreffenden Produktvariationen. Dies wurde mit mehr Werbung und Rabattaktionen flankiert, um bei den Kunden immer wieder die Begehrlichkeit zu wecken. Da aber diese sogenannten Produktwiedereinführungen nicht auf qualitativen Produktinnovationen basieren, werden die Produkte beliebig und austauschbar, wodurch die Kundenbindung sinkt. So musste GM inzwischen vom Staat durch Subventionen aus der Insolvenz geholt werden.
In Europa kam die Orientierung am Marketing-Modell der Wachstumsbeschleunigung durch künstliche Verkürzung der Produktlebenszyklen mit einer Zeitverzögerung von Jahrzehnten an. Nach dem zweiten Weltkrieg arbeiteten die Industriebranchen weitgehend noch nach den in diesen Kulturräumen historisch gewachsenen Herstellungs- und Vermarktungsmethoden. In Deutschland war dies die Ausrichtung am „Know-how“ der Ingenieure und dem Arbeitsethos der Fachkräfte, um gute und langlebige Produkte herzustellen. Erst in den 1980er Jahren konnte die Philosophie der künstlichen Verkürzung der Produktlebenszyklen durch Managementberatungsfirmen US-amerikanischer Prägung eingeführt werden. In Deutschland geschah dies zuerst in den Schlüsselindustrien Automobil und Elektrotechnik. In dort führenden Unternehmen konnte das damals neue Konzept schließlich implementiert werden. Es folgten dann immer mehr Unternehmen der anhängenden Branchen und Lieferketten dem Beispiel. In der Automobilbranche sind heute so gut wie alle Hersteller nach dieser Marketing-Strategie ausgerichtet.
Als ein Beispiel für geplante Obsoleszenz kann hier auch der mit der Informationstechnologie aufkommende Schreibtischdrucker angeführt werden. Ein Drucker eines Herstellers, mit einem nur für ihn funktionierenden Nachfüllsystem der Toner- oder Tintekartuschen, wird vergünstig angeboten, um die Kunden leichter zum Kauf zu bewegen. Wenn dann die Kartusche leer ist, kann man sie nur beim gleichen Hersteller nachkaufen und dieser kann regulieren, wie groß er die Behältnisse dimensioniert um den Ersatzbedarf zu steuern. Die Wertschöpfung erfolgt durch überhöhte Preise für die Druckerpatronen. Dieses Geschäftsmodell wurde dann auch rasch in den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen als beispielhaft gelehrt. Somit wurde flankierend auch bereits der junge, noch formbare Managementnachwuchs auf diese Vermarktungsphilosophie getrimmt.
Folgen der geplanten Obsoleszenz
Da Produktlaufzeiten Jahre dauern zeigen sich die langfristigen Folgen erst später. Sie werden dann auch oft nicht mehr korrekt den eigentlichen Ursachen zugeordnet. So führen die kürzeren Produktlebenszyklen auch zu einem höheren Material- und Resourcenverbrauch. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen hinsichtlich Ernährung, Umwelt, Klima etc. taucht deshalb auch die Forderung auf, Produkte wieder langlebiger, recycelbar und human herzustellen. Um dies zu erreichen, sind jedoch Interdependenzen zu beachten, die eine Abschaffung der geplanten Obsoleszenz hemmen. Denn viele Bereiche in den Volkswirtschaften sind danach ausgerichtet und wirtschaftlich davon abhängig.
So hat sich die Marktforschung mehr auf das Erfassen schnelllebiger Trends eingestellt. Direkte Fragen nach Produktpräferenzen liefern heute mit kurzfristigen Erhebungen auf Knopfdruck repräsentative Ergebnisse. Dabei kommt die psychologische Meinungsforschung oft zu kurz. Denn ein zweisitziges Auto wird nicht rein rational hauptsächlich deshalb gekauft, weil laut statistischer Erhebung im Schnitt nur 1,2 Personen in einem Auto fahren. Sondern der Autobesitzer möchte auch für die wenigen Fälle gerüstet sein, wenn er mit mehreren Personen fahren oder einen Ausflug machen möchte. Solche unbewussten Produkteigenschaften haben dann oft einen wesentlichen Einfluss auf die Kaufentscheidung. Nicht zuletzt deshalb haben sich bereits früh PKW mit vier oder mehr Sitzen durchgesetzt. Gewinnt man aber wegen mangelhafter Interpretation der Kundenbedürfnisse im Konkurrenzkampf relevante Kundensegmente nicht als Käufer, sinkt die Wahrscheinlichkeit am Ende die Stückzahlen zu erreichen, mit denen man wiederum im guten Bereich der Skalierungseffekte liegen würde. Nur rund 20% der Produktneueinführungen sind letztendlich erfolgreich.
Im Personalbereich der Unternehmen wurde die Umstellung auf kurzfristige Vermarktungszyklen durch Einführung erfolgsabhängiger Gehaltskomponenten (sog. Boni) flankiert. In allen den dafür notwendigen Unternehmensbereichen wie Beschaffung, Vertrieb etc., ab bestimmten Entscheidungsebenen. Um in der Gesamtbilanz die Kostenfaktoren für Gehaltsprovisionen, Beratungshonorare, höhere Werbeetats etc. auszugleichen, wurden am unteren Ende der Lohnskala die Personalkosten durch die Ausweitung von Niedriglohnbereichen gesenkt. Unter anderem durch die Auslagerung von Personal in neue Subunternehmen, die nicht den gleichen Tarifverträgen unterliegen wie die Hauptunternehmen. Auch die Etablierung von Personalleasing ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Hier kommt ein Menschenbild (der Mensch als Objekt) zum Ausdruck, das der oft parallel im Corporate Identity (Unternehmensleitlinien) Konzept formulierten Wichtigkeit der Mitarbeiter widerspricht. Diese Diskrepanz sollen dann Motivationsprogramme zur Mitarbeiterbindung künstlich ausgleichen.
Wiederum erst zeitverzögert zeigte sich, dass diese geringer entlohnten Arbeitskräfte nicht mehr vernünftig von deren Einkommen existieren können. Die Einführung von Mindestlöhnen ist eine Reaktion der Regierungen darauf. Wobei die eigentliche Ursache aber oft das Geschäftsmodell der geplanten Obsoleszenz ist, dessen Managementphilosophie auch die Tendenz zur Auslagerung von unternehmerischen Risiken und Kosten an Dritte beinhaltet.
Die Organisationsstrukturen der Unternehmen wurden durch die Einführung des Prinzips der Spartenorganistion darauf ausgerichtet, Umstrukturierungen und Teilverkäufe leichter durchführen zu können. Bei als betriebsnotwendig angekündigten Personalfreisetzungen können somit auch Forderungen nach staatlichen Subventionen gestellt werden. Die Allgemeinheit steht dann gegebenenfalls für Unzulänglichkeiten im Geschäftsgebaren der Unternehmen gerade.
Eine Organisationseinheit mit viel Personal und hohem Budgetanteil generiert hieraus oft mehr Macht in einer Organisation. Der Vertrieb hat i.d.R. viele Personalstellen und erscheint als der Bereich, der an der Verkaufsfront alleine die Aufträge sicherstellt. So sind in einer Organisationsmatrix oft Vertriebs- und Marketing-Leitungsfunktionen gleichrangig angeordnet. Funktional ist der Vertrieb aber ein Baustein im Rahmen des Marketing-Mix und vom Zusammenwirken mit den weiteren Bausteinen abhängig. Er sollte daher der Entscheidungsbefugnis des Gesamtmarketings untergeordnet sein, damit sein durch das akute Geschäft geprägter Blickwinkel Richtungsentscheidungen nicht disproportional beeinflusst.
Nachhaltige Marketing-Strategie
Eine Marketing-Strategie mit nicht geplanter Obsoleszenz ist keine Absage an die industrielle Massenproduktion. Die Blaupausen dafür liegen beispielhaft in einigen, meist mittelständischen und inhabergeführten, Unternehmen noch vor. Diese agieren oft schon seit langem erfolgreich nach dem Prinzip von Qualität und Langlebigkeit am Markt. Denn die Konzentration auf die bestmögliche Herstellung des Produktes, auf das ein Unternehmen spezialisiert ist, führt zu einer immer höheren Qualität und damit zu einer immer besseren Bedürfnisbefriedigung des Kunden. Wenn der Kunde ein solches Produkt zu einem höheren Preis präferiert, da es besser und langlebiger ist, konzentriert sich die Kundenpräferenz stärker auf diesem Anbieter. In Folge profitiert er nun auch von den Skalierungseffekten, da sich höhere Stückzahlen auf ihn konzentrieren. Der Hersteller kommt in die Situation mit höheren Margen gewinnbringender zu arbeiten und kann dementsprechend auch bessere Löhne bezahlen. Arbeiter und Angestellte, die besser verdienen, können wiederum qualitativ hochwertigere und langlebigere Produkte kaufen – der Kreis schließt sich in einer positiven Aufwärtsspirale.
Die Konkurrenz wird nun entweder versuchen, das Geschäftsmodell des Marktführers zu adaptieren (Me-too-Strategie), oder ihre Produkte wiederum besser zu machen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (Alleinstellungsstrategie). Dadurch entsteht ein Wettbewerb auf höherem Niveau bzgl. der Produktqualität und des dafür erzielbaren Marktpreises.
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EESC) fordert die Abkehr von der geplanten Obsoleszenz, nicht zuletzt, um die großen Herausforderungen in der Umwelt- und Klimapolitik meistern zu können. Diese Forderung ist nachvollziehbar und gerade für die Kulturräume mit dem Erfahrungsschatz der langen Fachhandwerks- und Ingenieurstraditionen erfolgversprechend.